Die Festung
 

Nach einem Überfall auf die Stadt Kaldenkirchen im Jahre 1596 durch den Grafen "Heinrich von dem Berg" wurde die Stadt umgraben und eine Wallanlage aufgeschüttet. Ein Bericht vom 11.11.1596: das Dorf Kaldenkirchen ist etlicher maßen uffgeworfen und befestiget, sein neben den Soldaten noch vier Rotten ausgesetzter Schützen darbinnen. Emil BECKER schlisst daraus, das es eine Wallanlage um Kaldenkirchen schon sehr früh gegeben haben muss. Es muss aber berücksichtigt werden, das in dem präzisen Straßen- und Wegeverzeichnis von 1579, die Wallanlage an keiner Stelle erwähnt wird. Wenn es den Wall den damals schon gegeben hat, sollte man sich ihn nicht allzu eindrucksvoll vorstellen. Erstmals in einer Quelle vom 20.3.1601 von NOTHEN wird ausdrücklich von der "Festung Kaldenkirchen" gesprochen, wonach Kaldenkirchen schon 1528 "mit einem Walle und Graben umzogen" wurde. Die militärische Bedeutung der Schanze sank mit dem Ausbau Kaldenkirchens zur Festung. Durch die Weiterführung der Hochstraße und die Errichtung des Breyeller/Brucher Tors wurde sie geteilt. Nur auf der Fläche des Kirchendreiecks behielt sie im Zusammenhang mit dem Stadttor eine gewisse Bedeutung. Emil BECKER mutmaßt, das hätte die Schanze beim Ausbau Kaldenkirchens zu einer Festung nicht mehr bestanden oder ihren Wert völlig verloren, wäre diese Fläche gewiss bei der Gründung des Brigitten-Klosters im Jahre 1625 oder auch bei der späteren Erweiterung in dessen Bereich mit einbezogen worden. In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts trifft man in Kaldenkirchen ständig auf hier einquartiertes Militär. 1615 waren hier italienische Offiziere und Soldaten stationiert. 1617 ein burgundischer Colonel. 1635 der Hauptmann Waldois, der auch Herr über die Stadtschlüssel war. 1634/35 ein Teil des 4. Regiments der Leibkompanie des Prinzen Philipp Wilhelm von Pfalz-Neuburg scheint in Kaldenkirchen nachweisbar zu sein. 1665 war ein Hauptmann Geuen in Kaldenkirchen stationiert. Taufeintragungen von 1719 bis 1722 lassen vermuten, dass in Kaldenkirchen Karabiniers des Kurfürsten stationiert waren. Wall und Graben umzogen die aus einem regelmäßigen Fünfeck bestehende Festung. Sie hatte vier Rondelle (Bastionen), ursprünglich wahren es wahrscheinlich fünf. Auf vier Seiten des Fünfecks trafen die (heutige) Steyler Straße, Jahn-, Kehr- und Bahnhofstraße wie eine Mittelsenkrechte zusammen. Von der Jahnstraße aus führte nur ein kleiner Übergang nach außen, deshalb wohl der frühere Name "Steegstraße". Die anderen genannten Straßen hatten ihren Ausgang am Venloer, Brucher (Breyeller) und Leuther Tor. Die Tore bekamen die Namen des Ziels der aus der Stadt führenden Straßen. Zum Beispiel: das Tor am Ausgang der nach Leuth führenden heutigen Bahnhofstraße hieß "Leuhter Tor". 1650/51 wurde auf dem Send verfügt, dass die pforten an Sonn- und Feiertagen morgens geschlossen bleiben mussten. Diese Maßnahme diente der Sicherung eines ungestörten katholischen Gottesdienstes. Für die Ausführung der Anordnung waren die Bürgermeister verantwortlich. Ausnahmen durfte nur der Pastor zulassen. Bei Missachtung musste der Bürgermeister drei Goldgulden Strafe zahlen.Im Jahre 1664 wurde ein schriftlicher Befehl der herzoglichen Regierung in Düsseldorf an den Vogt in Brüggen erteilt. Es wurde befohlen das größte Tor an allen Sonn- und Feiertagen zu öffnen, damit die reformierten Schiffsleute und Einwohner aus Venlo, die in Kaldenkirchen schon vor 1651 ihren Glauben ausgeübt hätten, mit Pferd und Wagen bis an die Kirche fahren konnten. Das "Bonner Jahrbuch" berichtet 1980 anlässlich von Tiefbauarbeiten: "Es wurde durch eine Kanalausschachtung in der Ecke Bahnhofstraße Wallstraße die Westseite des sogenannten Leuther Tores angeschnitten und teilweise zerstört. Aus dem Aushub wurden zahlreiche mittelalterliche Keramikbruchstücke aufgesammelt. Die Mauer soll auf eine Länge von 6 m und eine Tiefe von 1,35 m freigelegt worden sein. Allem Anschein nach sollen die Nord- und Südseite des Tores schräg zur Wallstraße nach Osten versetzt verlaufen". Das sind die spärlichen Erkenntnisse zu den Toren der Festung. Zu den Rondellen berichtet FINKEN: "es waren dies fünfeckige Erdwerke, die mit der Spitze nach außen standen. Dieselben waren auch zuweilen aus Stein, meistens jedoch, weil nicht so kostspielig, aus Erde". Die Fläche der Festung umfasste circa sechs Hektar. Sie hatte eine maximale Nord-Südausdehnung von nur circa 300 Metern und ein West-Ostausdehnung von circa 285 Metern. 1663 wurde die Festung durch einen Klosterbau für die männlichen Ordensmitglieder in ihrer Gestalt empfindlich verändert. Das heutige Pastoratsgebäude wurde auf dem vormaligen Festungswall errichtet. In der Festung gab es auch nach dem Klosterbau größeren Schutz. Die Brandschatzungen von Franzosen und Holländern 1672/73 trafen ausnahmslos Häuser außerhalb der Festung. Die Unterhaltung des Festungswalls war für die Gemeindekasse eine permanente Belastung. Da der Nutzen und Aufwand für die Festung zunehmend in ein Missverhältnis geriet, brachte das 18. Jahrhundert das allmähliche Ende der aus purem Verteidigungsbedürfnis gebauten Festung. Am 1.8.1733 brachte Schöffe Engelbert Ewalds die Vorteile der Gemeinde zu Papier, die sich aus der Einebnung (schlichtung) des Walls ergaben:

1. Fortfall der jährlichen Ausbesserungskosten;
2. Schluß mit der Zweckentfremdung des Walls als spilplatz, von dem aus die Kinder mit steinschmeißen und bogenschießen die leyen auf dem tach, wie auch gläßer jahrlich notabiliter beschädigen;
3. Wegen befreyung bey Kriegszeiten malen mit legung dieser Maur der Kirchhof in die runde fast beschloßen. Und wolle also unser Gemeindt (insoweit sich unser gewalt erstrecket) den platz dem Convent gantz willig ubergeben.

Bürgermeister, Schöffen und Geschworene schlossen 1767 einen Vertrag mit dem Katholischen Pfarrer über den Bau einer Mauer anstelle des geschleiften Walles. Höhe und Stärke der Mauer sollte um den Konvent gleichen. Das Material stellte das Kirchspiel zur Verfügung. Bis vier Lagen oberhalb der Bogen sollte die Brucher Pforte abgebrochen werden. Die Steine waren für den Mauerbau bestimmt. Der vom "Bürgerverein Kaldenkirchen" 1993 herausgegebene Plan der Parzellierung der Wallanlage in Kaldenkirchen gegen Ende des 18. Jahrhunderts zeigt die zwei damals noch erhaltenen Rondelle im Norden und Osten der Festung und den Wassergraben vom Venloer bis zum Leuther Tor und von dort bis zur alten Unterbrechung der Festung südlich von Kloster und Kirche. Man legte Wert auf die Erhaltung dieses Wassergrabens außerhalb des Walles. In einer Erläuterung des Planes heißt es hinsichtlich der Abtragung des Walles: darf kein grund in den graben geworfen werden, sondern wer es schlichten will, muß den grund fuhrweis wegbringen. Im Westen und Süden zeigt der Plan schon keine Rondelle mehr. Die Wälle wurden parzelliert und die Festung geschleift. Aus der Akte 329 des Stadtarchivs Kaldenkirchen geht hervor was bei der Schleifung und Verpachtung des Wallgeländes zu beachten war. Der Munizipalrat hatte im Jahre X und XI der Französischen Republik die Geldbeschaffung für gemeindliche Ausgaben beschlossen, daß der um diesen Ort befindliche Wall und Graben geschleift und an den Meistbietenden verpachtet wird. Angefangen vom Foelkens Wall am Kloster in Richtung Leuther Tor, weiter zum Venloer Tor und über die Steegstraße hinter der reformierten Kirche hinweg bis zu der Stelle des heutigen Eckhauses Kehr-/Grenzwaldstraße. Insgesamt wurden 36 Parzellen gebildet. Der Teil des Walls zwischen Kloster und Venloer Tor war von einem zwölf Fuß breiten Wassergraben begleitet. Er sollte erhalten bleiben und künftig von den Anliegern unterhalten werden. Der Foelkenwall am Kloster war 15 Ruten groß. Das Rondell hinter dem Kloster maß mit Wall 33 Ruten. Der Graben am Venloer Tor wurde vermutlich mit Wasser aus dem Ort gespeist. In der Nähe der Leuther und der Brucher Pforte war der Wall zusätzlich mit einer Brüstung (Brust Wehr) versehen die vermutlich gemauert war. Bei der Verpachtung der gebildeten Parzellen hatten die Wallanlieger vorrecht, da aus alten Documenten erhellet, und es sehr wahrscheinlich ist, das dieser Wall ehedeßen aus denen Erben der nächst anschießenden auf geworfen worden ist. Verschiedene Bürger hatten inzwischen eigenmächtige Eingriffe in den Wall getan, Häuser darauf gebaut oder auf andere weise das Gelände genutzt, wofür jetzt die Pacht nachzuzahlen war. Einen gemeinden waßer pfuhl, auch Gemeinde Wasserbehälter genannt gab es am Brucher und Venloer Tor wie auch bei der Steegstraße. In diesem Bereich war der Wassergraben durchweg schmaler. An einer Stelle soll er nur sieben Fuß breit gewesen sein. Aus einem Schriftstück von 1790 geht hervor, das der Wall im Klosterbereich zum Klostergarten umgestaltet wurde (der sogenanter Wall, so zum. Kloster Garten aptiret). Große Gärten entstanden auf der südwestlichen Rückseite der früheren Hochstraße (heute Kehrstraße), deren Mauer später irrtümlich für eine Stadtmauer gehalten wurde (vgl. die heutige dortige Straßenbezeichnung). Nach Auswertung der vorhandenen Dokumente, hat es nie eine durchgängige Stadtmauer parallel zu Wall und Graben gegeben. Den Pächtern von Wallgelände wurde 1804 zur Auflage gemacht: Jeder Anpächter ist verbunden den Wal1 selber zu schlichten. Zur endgültigen Privatisierung des Wallgeländes kam es 1823. Denn Pächtern wurde das Gelände zum 25fachen des Pachtpreises erblich überlassen. Die verbliebenen Wassergräben haben der Gemeinde noch lange Probleme bereitet. 1863 berichtete der Bürgermeister von Kaldenkirchen dem Landrat: Die Reste der Festungswerke, Theile von Mauern, Stadtthoren, Wällen mit Graben waren noch bis zum. Ende des vorigen Jahrhunderts vorhanden. Die erste bildliche Gesamtdarstellung der Festung ist das 1722 entstandene Blatt "Kaldenkirchen Flecken" im Codex Welser. Es zeigt einen durch drei Tore zugänglichen Ort: Brücken führen über den Graben, der Kaldenkirchen nahezu kreisförmig umgibt. Das im Museum Burg Linn ausgestellte Modell der Festung Kaldenkirchen ist von zahlreichen Hypothesen bestimmt aber unter didaktischen Gesichtspunkten hilfreich. Der von FINKEN's Arbeit beigegebene Festungsplan von 1793 ist dagegen sehr Zuverlässig.